#35

Roxy Ramirez hat alles, was er sich wünscht. Besser gesagt, es ist on demand verfügbar. Er lebt in einer Welt, in der man auf nichts warten, geschweige denn verzichten muss. Und es ist alles verfügbar. Hat er Lust auf Pizza, lässt er sich Pizza kommen. Genauso verfährt er mit Sushi, Chicken Tikka, Falafel, Enchiladas und Burritos, Schrimps, Pancakes. Dazu sein Lieblingskalifornier, wobei er über die Jahre doch eher die original Franzosen bevorzugt, nicht dass er einen Unterschied schmecken würde. Von Südafrika lässt er die Finger, wobei er Thunfisch der dortigen Gewässer sehr zu schätzen weiß. Er liebt deutsches Bier, russischen Vodka und französischen Champagner. Der Ursprungsgedanke gefällt ihm. Alles von Originalschauplätzen. Warum auch immer. Tiefer damit auseinandergesetzt hat er sich noch nicht. Dennoch rümpft er die Nase über amerikanisches Bier oder chinesische Autos und kanadischen Sekt. Das ist ok, aber nicht echt.

Wieso erfahren? fragt er mich. Ist das wieder so ein Sprachding? Ich erkläre ihm das Sprachding, eigentlich bedarf es keiner Erklärung, wenn man kurz innehält und sich vergegenwärtigt, was dieses Wort bedeutet. Man erfährt etwas, weil man es erkundet, im wahrsten Sinne des Wortes erfährt. Die Champagnerkeller in Épernay, die wilden Küsten Südafrikas, die Weiten der russischen Tundra, die Landschaft der Toskana. Sich das „zu erfahren“ bedeutet eigene Erfahrungen zu machen, Begegnungen, riechen, schmecken, Stimmungen einfangen und so eine Beziehung zur Region, den Menschen und den Produkten aufbauen. Roxy Ramirez‘ Beziehungen zu Produkten hat er nicht selbst aufgebaut. Sie wurden für ihn hergestellt, von Werbestrategen, ins rechte Licht gerückt von Profis zu dem Zweck, in uns einen Wunsch zu erzeugen.

Und wo liegt nun das Problem fragt er mich? Du bist doch genauso ein Opfer oder stehst du eben nicht auf Champagner und echten kubanischen Rum? Da hat mich Roxy natürlich an meiner offenen Flanke erwischt. Ich kann das nicht verneinen. Diese Produkte sind gut, vielleicht die besten. Aber warum schätzen wir sie? Weil wir wirklich von der Qualität überzeugt sind? Oder weil sie teuer sind und wir damit protzen können? Oder auf Grund einer Lifestyle Erwartung?

Jetzt sag ich dir mal was: Nur weil du mit irgend einer alten an der Hand – was ich bei dir eher für unwahrscheinlich halte – bei Sonnenuntergang über die goldenen Hügel der Toskana durch einen Olivenhain gelaufen bist und dabei den Geruch von Sommer, Zypressen und Kräutern in der Nase hattest, wirst du dein Leben lang gepanschtes Toskanisches Olivenöl und billigen Sangiovese saufen. Und es wird das Tollste für dich sein. Und warum? Aus Gefühlsduselei und im Rückblick verklärter Romantik an einen Ort, an den du aus deiner trostlosen Welt geflohen bist.

Manchmal hasse ich ihn. Aber Hey, und da blitzt sein Lächeln wieder durch und beginnt mich zu umgarnen, jeder muss nach seiner Art glücklich sein. Ich stehe nun mal auf guten Wein, edle Fische und Flugorangen. So what. Das Zeug ist geil, und in mir erzeugt es ähnliche Gefühle wie du sie vor Augen hast, wenn du in deine imaginäre Bruscetta beißt, die im übrigen unmöglich besser sein kann als im „Royal Rodeo“. Keine Sorge, du bist selbstverständlich eingeladen.